Resistente Stärke – Kohlenhydrate mit halb so viel Kalorien?

Stärke ist die wichtigste Quelle für Kohlenhydrate in unserer Ernährung (https://www.nature.com/articles/ejcn200974) und damit verantwortlich für den Großteil der Kalorien in unserem Essen. Allerdings gibt es auch Formen von Stärke, die unser Körper schlechter verdauen kann und die deshalb weniger Kalorien haben. Diese sogenannte resistente Stärke entsteht beispielsweise beim Erhitzen und Abkühlen von gewöhnlicher Stärke. Kann also das Abkühlen und Wiederaufwärmen von Pasta und Reis beim Abnehmen helfen? (https://ift.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1541-4337.2006.tb00076.x, https://www.cambridge.org/core/journals/british-journal-of-nutrition/article/systematic-review-of-the-influence-of-rice-characteristics-and-processing-methods-on-postprandial-glycaemic-and-insulinaemic-responses/C8C656D92D1808E0262BF9FF12CF5837)

Was ist resistente Stärke?

Resistente Stärke ist ein Überbegriff für alle Formen von Stärke, die nicht durch Enzyme in unserem Dünndarm gespalten werden können und stattdessen erst im Dickdarm abgebaut werden. Dort dient resistente Stärke als Nahrung für Darmbakterien, die daraus kurzkettige Fettsäuren produzieren können.

Gewöhnliche Stärke bildet Stärke-Körner, in denen sie in zwei Formen vorliegt: zum einen als strahlenförmig angeordnete Ketten von Tausenden aneinandergeknüpften Zuckermolekülen (Amylose), zum anderen als gößere baumartig verzweigte Moleküle (Amylopektin). In resistenter Stärke liegen überwiegend lange Molekülketten vor (wie in Amylose), die aber eher parallel wie in einem Kristall angeordnet sind statt strahlenförmig wie in einem Stärkekorn. Durch die kristalline Anordnung können benachbarte Molekülketten Bindungen miteinander eingehen; die Zuckerketten verkleben also unterneinander. Enzyme im Dünndarm, die gewöhnliche Stärke in Einzelteile spalten können, finden in dieser verklebten Molekülstruktur der resistenten Stärke keinen Angriffspunkt, um Zuckerketten herausbrechen zu können.

Wie viele Kalorien hat resistente Stärke?

Während Zucker und gewöhnliche Stärke im Dünndarm in Einfachzucker wie Glukose und Fruktose zerlegt werden, die dann ins Blut aufgenommen und verbrannt werden können, gelangt resistente Stärke unverdaut bis in den Dickdarm. Dort werden die Stärkemoleküle aber von Darmbakterien zersetzt, wobei kurzkettige Fettsäuren entstehen können, die schließlich ins Blut aufgenommen werden. Obwohl resistente Stärke also als Ballaststoff zählt und keinen direkten Beitrag zu den aufgenommenen Kalorien hat, muss die Energie der dabei freigesetzten kurzkettigen Fettsäuren berücksichtigt werden. Je nach Form der Stärke und Zusammensetzung der Darmflora fallen dabei 2-3 kcal/g an (https://www.mdpi.com/2072-6643/11/10/2484). Dies entspricht auch in etwa der Empfehlung der Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization, FAO), die pauschal für alle Ballaststoffe einen Energiegehalt von 2 kcal/g annimmt (https://www.fao.org/3/Y5022E/y5022e04.htm). (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.1467-3010.2007.00616.x)

Wie entsteht resistente Stärke?

Der wichtigste Prozess zur Bildung von resistener Stärke ist die Retrogradation. Diese bezeichnet das Aufbrechen von Stärkekörnern und das Neu-Anordnen von Zuckerketten in kristalliner Form. Zwei Schritte sind für den Retrogradationsprozess verantwortlich: die Verkleisterung beim Erhitzen von gewöhnlicher Stärke, und die Re-Kristallisation beim Abkühlen.

Die Verkleisterung (gelatinization) von Stärke erfolgt beim Erhitzen und Auflösen von Stärkekörnern in Wasser: zunächst füllen die Wassermoleküle die Zwischenräume zwischen den Zuckerketten von Amylose und Amylopektin, dies verursacht ein Aufquellen der Strukturen. Im Laufe der Zeit (und beschleunigt durch Hitzeeinwirkung) werden die kristallinen Stärkestrukturen aufgebrochen, und insbesondere kleinere Amylose-Moleküle werden vom Wasser losgelöst. Diesen Prozess nennt man Verkleisterung (gelatinization); dieser Effekt wird beispielsweise beim Soßenbinden in der Küche ausgenutzt. Prinzipiell kann das Herausbrechen von Amylose-Ketten aus komplexeren Stärkekörnern aber auch ohne Wassereinfluss geschehen.

Beim darauffolgenden Abkühl-Prozess ordnen sich lange Zuckerketten nicht mehr in der ursprünglichen Korn-Struktur an, sondern bleiben eher nebeneinander liegen, wo sie Bindungen miteinander eingehen können. Das Herausbilden so einer kristallinen Struktur geschieht am ehesten bei einem hohen Anteil an Amylose in den ursprünglichen Stärkekörnern, da Amylopektin durch seine Baumstruktur eher zur Bildung von Stärkekörnern neigt. Typischerweise sind die im Rahmen der Kristallisierung entstandenen Bindungen zwischen benachbarten Zuckerketten stärker als in einer Kornstruktur, sodass eine erneute Verkleisterung von resistener Stärke erst bei höheren Temperaturen erfolgt als bei gewöhnlicher Stärke.

(https://ift.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1541-4337.2006.tb00076.x, https://www.cambridge.org/core/journals/british-journal-of-nutrition/article/systematic-review-of-the-influence-of-rice-characteristics-and-processing-methods-on-postprandial-glycaemic-and-insulinaemic-responses/C8C656D92D1808E0262BF9FF12CF5837)

Kalte Kartoffeln haben mehr resistente Stärke und weniger Kalorien

Zum Beispiel hat das Erhitzen von Kartoffelstärke mit einer Mikrowelle auf 80°C (300W für 100s) mit anschließendem Warmhalten (16h bei 55°C) und Kühlstellen (18h bei 4°C) den Anteil an resistenter Stärke von 11% auf 27% mehr als verdoppelt. Bei diesem Prozess ist auch ein Teil des Amylopektins aufgebrochen und in Amylose umgewandelt worden, deren Anteil von 26% auf 35% erhöht wurde. Mäuse, die die retrogradierte Kartoffelstärke zu fressen bekamen, nahmen in einem Monat nur halb so viel zu wie Tiere, die die gleiche Menge an unbehandelter Kartoffelstärke fraßen. (https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0144861718303400)

Ein anderes Experiment mit Reis zeigt, dass gekochter Reis nach Kühlstellen (24h bei 4°C) und Aufwärmen etwa 2.5-mal so viel resistente Stärke enthält wie frisch gekochter Reis. Eine Lagerung für 10h bei Raumtemperatur ist ähnlich effektiv und enthält 2-mal so viel resistente Stärke wie frisch gekochter Reis (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26693746/).

Ist resistente Stärke gut für den Blutzuckerspiegel?

Da resistente Stärke nicht bereits im Dünndarm durch Enzyme aufgespalten werden kann, trägt sie erheblich weniger zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels bei als verdauliche Kohlenhydrate wie gewöhnliche Stärke oder Zucker. Lebensmittel, in denen ein Großteil der Kohlenhydrate als resistente Stärke vorliegt, gelten daher als vorteilhaft für Diabetiker. (https://ift.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1541-4337.2006.tb00076.x)

Niedriger glykämischer Index durch resistente Stärke

In einem Experiment haben ProbandInnen Nudeln an verschiedenen Tagen in zufälliger Reihenfolge entweder frisch gekocht, abgekühlt, oder wieder aufgewärmt gegessen. Dabei ist eine geringfügig schwächerer Blutzuckeranstieg nach Essen der aufgewärmten Pasta gemessen worden, also ein etwas niedrigerer glykämischer Index (https://www.mdpi.com/2304-8158/9/1/23). Ähnliche Studien bestätigen die Beobachtung; abgekühlter und wiederaufgewärmter Reis führt in einer Studie zu einem etwa 15% geringeren Anstieg des Blutzuckers im Vergleich zu frischem, heißen Reis (https://doi.org/10.6133/apjcn.2015.24.4.13). Auch Parboiled Reis wirkt sich günstig auf den Blutzuckerspiegel aus: er ist bereits leicht vorgegart und damit bereits einem Zyklus aus Erhitzen und Abkühlen ausgesetzt gewesen (https://www.mdpi.com/2072-6643/9/5/475).

Resistente Stärke ist kein Allheilmittel gegen Diabetes

Es klingt wie ein Traum: durch bloßes Abkühlen und Wiederaufwärmen von Nudeln, Reis und Kartoffeln ließe sich deren Stärke in weniger verdauliche Formen überführen und die effektive Kalorienzahl reduzieren: auf diese Weise könnten im Handumdrehen Übergewicht und Diabetes als Hauptursache von Krankheiten und erhöhter Sterblichkeit verhindert werden. Doch leider ist der Zusammenhang nicht ganz so eindeutig. (https://www.cambridge.org/core/journals/british-journal-of-nutrition/article/systematic-review-of-the-influence-of-rice-characteristics-and-processing-methods-on-postprandial-glycaemic-and-insulinaemic-responses/C8C656D92D1808E0262BF9FF12CF5837)

Glykämischer Index und der Anteil resistenter Stärke variieren mit Pflanzensorte und Lebensmittel

Die Bildung von resistenter Stärke durch Retrogradation gilt als weitgehend bestätigt und gesichert, beispielsweise als Folge von abwechselndem Erhitzen und Abkühlen. Die Umwandlungseffizienz von gewöhnlicher Stärke in unverdauliche Formen unterscheidet sich jedoch je nach Lebensmittel und genauer thermischer Prozessierung. Ein entscheidender Parameter ist hierbei der Anteil an langkettiger Amylose in der Stärke, verglichen mit dem baumartig verzweigten Amylopektin. Aber auch die Größe der Stärkekörner oder der Verzweigungsgrad des Amylopektins könnten die Bildung von resistenter Stärke beeinflussen. Die Änderung des Anteils an resistenter Stärke durch eine Wärme- und Kältebehandlung fällt bisweilen sogar schwächer aus als der Unterschied zwischen Lebensmitteln, die aus unterschiedlichen Sorten der Ausgangspflanzen gewonnen wurden, beispielsweise unterschiedlichen Kartoffel- oder Reissorten (https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0963996913006741). Der glykämische Index von Reis kann beispielsweise zwischen 64 und 93 variieren (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/1442654/); 100 entspräche purem Zucker.

Nicht immer bedeutet mehr resistente Stärke auch weniger Blutzuckeranstieg

Viel interessanter ist aber die Beobachtung, dass trotz eines höheren Anteils an resistenter Stärke nicht immer ein niedrigerer glykämischer Index beobachtet werden kann (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0002916522004956, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23945407/, https://doi.org/10.1590/S1516-89132004000400010) oder der Effekt nur minimal ausfällt (https://doi.org/10.18203/2320-6012.ijrms20210886).

Der Anstieg des Blutzuckerspiegels unterscheidet sich zum einen je nach Lebensmittel, aber auch zwischen einzelnen Individuen (vgl. https://www.mdpi.com/2304-8158/9/1/23). Darüber hinaus kann der Blutzuckeranstieg auch durch kalte Temperaturen des Essens verlangsamt werden sowie durch einen höheren Anteil an Fett in der Mahlzeit; hierdurch wird die Leerung des Magens in den Dünndarm verzögert, was damit indirekt die Aufnahme von Zucker ins Blut verlangsamt. Umgekehrt könnte ein Auflösen der Stärke in Flüssigkeit diese wieder leichter verdaulich machen. Insgesamt kann also die Zusammensetzung und Zubereitung der tatsächlichen Mahlzeit einen größeren Einfluss auf den beobachteten Blutzuckeranstieg haben als die vorab durchgeführte thermische Behandlung der Stärkeprodukte.

Langfristig bleibt resistente Stärke aber ein wichtiges Forschungsthema, weil sie das Potential bietet, mit simplen Maßnahmen Übergewicht und Insulinresistenz in der gesamten Bevölkerung zu verringern. Denkbar ist beispielsweise die gezielte Züchtung von Getreide- und Kartoffelsorten mit höheren Anteilen an resistenter Stärke, oder zumindest einem hohen Anteil an Amylose, die im Kochprozess leichter durch Retrogradation zu kalorienärmeren Stärke-Formen verklebt.

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