Kalorienreduktion lässt Mäuse länger leben

Bereits vor fast 100 Jahren haben erste Versuche an Ratten gezeigt, dass kalorienreduzierte Ernährung lebensverlängernde Effekte haben kann. Später sind weitere Experimente auch an Mäusen durchgeführt worden, um den vermuteten Effekt präziser identifizieren zu können und mögliche systematische Fehler auszuräumen. Tatsächlich weiß man inzwischen, dass Gesundheit und Langlebigkeit nicht nur dadurch bestimmt werden, wie viel wir essen, sondern auch, was wir essen, wie häufig und wann wir Mahlzeiten zu uns nehmen. Außerdem spielen unsere Gene und unser Geschlecht eine Rolle, und vermutlich auch psychologische bzw. psychosomatische Faktoren wie Stress und Hungergefühl.

Diäten lassen Ratten länger leben, aber um welchen Preis?

Eines der ersten Experimente mit dem Ziel, die Auswirkungen einer Ernährung mit Kaloriendefizit auf das Wachstum und die Lebensdauer zu messen, fand im Jahr 1935 statt (https://sci-hub.se/10.1093/jn/10.1.63). Die ForscherInnen teilten hierzu eine Kolonie von Ratten in drei Gruppen: während eine Kontrollgruppe ein Standardfutter mit ausgewogener Nährstoffzusammensetzung zu fressen bekam, galt für die beiden anderen Gruppen seit dem Abstillen bzw. mit zwei Wochen Verzögerung für den Rest ihres Lebens eine strikte kalorienreduzierte Diät. Die zugeteilte Kalorienmenge genügte, um das Körpergewicht für einige Tage konstant zu halten und wurde dann stufenweise erhöht. Auf diese Weise wurde die Gewichtszunahme der Versuchstiere kontrolliert und im Vergleich zur Kontrollgruppe ein langsameres Wachstum zugelassen. Die Kalorienreduktion war in diesem Versuch sehr extrem: den Großteil ihres Lebens wogen die hungernden Versuchstiere nicht einmal halb so viel wie die Tiere der Kontrollgruppe. Dafür wiesen sie ein dichteres und feineres Fell als ihre normal-ernährten Altersgenossen auf, was eigentlich typisch für jüngere gesunde Ratten ist. Nach dem Tod der Tiere wurden an anderen Stellen aber auch Mangelerscheinungen durch die Diät offenbar, wie beispielsweise eine extrem niedrige Knochendichte.

Trotz der extremen Voraussetzungen, die in dieser Studie durch eine starke Kalorienreduktion seit jungem Alter geschaffen worden waren, haben die Ergebnisse Beachtung gefunden: Rattenmännchen der beiden Diät-Gruppen lebten durchschnittlich etwa 27 bzw. 30 Monate; gegenüber den Männchen der Kontrollgruppe (16 Monate) bedeutet das eine um 70-85 % verlängerte Lebensdauer! Bei Weibchen betrug der Unterschied nur ca. 1 Monat und fiel nicht besonders ins Gewicht, zumal Weibchen generell eine höhere Lebenserwartung zeigten (27 Monate in der Kontrollgruppe).

Dieses frühe Experiment lässt sich in vielen Punkten kritisieren: das Maß der Kalorienreduktion war unverhältnismäßig, gerade für Jungtiere, und es lag offenbar Mangelernährung vor (das heißt, essentielle Nährstoffe z.B. für eine gesunde Knochenentwicklung fehlten). Zusätzlich konnte trotz eines Standardfutters nicht ausgeschlossen werden, dass Tiere der Kontrollgruppe Übergewicht mit negativen gesundheitlichen Folgen entwickelten. Einen möglichen Beitrag hierzu könnte auch die Käfighaltung gewesen sein, die den Bewegungsradius der Tiere unnatürlich stark eingeschränkt hat (https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/019262339602400618).

Einige Jahrzehnte später ist in ähnlichen Experimenten beobachtet worden, dass Rattenweibchen ihr Futter weniger effizient verwerten als Männchen: bei gleichem Gewicht durften Weibchen 20-40% mehr Kalorien zu sich nehmen als Männchen, um das gleiche Gewicht zu halten (https://sci-hub.se/10.1093/jn/71.3.242). Dies könnte ein Grund sein, weshalb in den früheren Studien weibliche Tiere der Kontrollgruppe bereits länger lebten als ihre männlichen Altersgenossen: die gleiche Ernährung war für die Weibchen bereits eine leichte Diät.

Genauer hingeschaut: moderate Diäten beugen Krankheiten vor

In dieser Studie aus dem Jahr 1960 ist erneut festgestellt worden, dass Ratten reduzierter Nahrungsaufnahme ein dichteres und feineres Fell im Alter behalten, wie es typisch für gerade ausgewachsene Tiere wäre (https://sci-hub.se/10.1093/jn/71.3.242). Spannend ist außerdem, dass Weibchen durch eine Diät selbst in höherem Alter eine höhere Fruchtbarkeit zeigten als Tiere der Kontrollgruppe: in einem Alter von etwa 65 Monaten sind 67% der schlanken Tiere trächtig geworden, während in der beleibteren Kontrollgruppe trotz eines jüngeren Alters von ca. 50 Monaten der Anteil nur bei 12% lag. (Zur besseren Einordnung: Tiere der Kontrollgruppe lebten im Mittel 67 Monate lang.)

Genauere Untersuchungen der Körper nach dem Tod haben zudem Aufschluss über den Gesundheitszustand der Tiere gegeben (https://sci-hub.se/10.1093/jn/71.3.255); hier waren die Unterschiede zwischen Tieren mit und ohne Diät beträchtlich: alle Männchen mit freiem Futterzugang haben vor ihrem Tod an einer oder mehreren Krankheiten wie Herz- oder Nierenschwäche gelitten, während nur 64% der Männchen auf Diät davon betroffen waren. Weibliche Tiere waren insgesamt gesünder, doch der Einfluss der Kalorienreduktion ist umso deutlicher ausgefallen: der Anteil der Tiere mit Erkrankungen wurde von 60% auf 5% reduziert.

In den gleichen Autopsien sind die Tiere auch auf Tumore hin untersucht worden. Ratten haben generell eine starke Veranlagung, Tumore zu entwickeln – ein großer Teil von ihnen bleibt dabei gutartig. Allerdings konnte die Studie zeigen, dass durch Verringerung der Kalorienmenge im Futter die Bildung von Tumoren deutlich hinausgezögert oder verhindert werden konnte: während Rattenweibchen im Alter von etwa 67 Monaten beispielsweise zu 44% ein oder mehrere Tumore entwickelt hatten, wurde diese Zahl durch eine Diät auf bloß 16% verringert.

Auch Diäten im Erwachsenenalter zeigen Wirkung

Zum Einen zeigt diese Studie, dass eine kalorienreduzierte Ernährung nicht nur die bloße Lebenszeit, sondern auch die Zeit eines gesunden Lebens verlängert, sie quasi die Entwicklung von Altersgebrechen hinauszögert. Zum Anderen ist beachtenswert, dass keine extreme Unterernährung dafür erforderlich war wie in dem ersten Experiment von 1935, sondern eine Kalorienreduktion von nur 33%. Dieses Maß an Reduktion bedeutete, dass Männchen auf Diät genauso viel zu fressen bekamen wie Weibchen ohne Nahrungsbeschränkung von sich aus zu sich nehmen würden. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass es für die positiven Effekte anscheinend ausreicht, erst im Erwachsenenalter die Kalorienzufuhr zu reduzieren, ohne Nachteile durch verlangsamtes Wachstum oder zurückgebliebene Entwicklung riskieren zu müssen.

Dieselben Wissenschaftler führten auch Experimente an Ratten durch, deren Kalorienzufuhr im Erwachsenenalter um 46% reduziert worden ist im Vergleich zu Tieren ohne Diät (https://sci-hub.se/10.1093/jn/74.1.23, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1928978/pdf/canmedaj01123-0020.pdf). Hier konnten die Beobachtungen bestätigt werden, dass das Reduzieren der Nahrungsaufnahme einen effektiven Mechanismus darstellt, um Krankheiten und Tumore im Alter vorzubeugen und das Leben zu verlängern. Weil die Zahl der Versuchstiere ausreichend groß war, konnte auch die Lebenserwartung genauer bestimmt werden: die Lebensdauer von Männchen konnte von 67 auf 83 Monate verlängert werden (+25%), die von Weibchen sogar von 78 auf 108 Monaten (+39%).

Mäuse bestätigen: es ist nie zu spät für gesunde Ernährung

In den 90er Jahren sind ähnliche Versuche an Mäusen wiederholt worden (https://sci-hub.se/10.1177/019262339602400618); diese Ergebnisse sind noch eindeutiger, weil einige mögliche Fehlerquellen ausgeschaltet werden konnten: erlaubt man der Kontrollgruppe beispielsweise eine beliebig hohe Nahrungsaufnahme, neigen die Tiere zu Übergewicht mit dazugehörigen Beschwerden und Krankheitsrisiken. Stattdessen entschieden sich die Forschenden dafür, eine kontrollierte und gegebenenfalls minimal eingeschränkte Nahrungszufuhr als Vergleich heranzuziehen.

Mäuse als Versuchstiere eignen sich außerdem besser für derartige Experimente, da sie mit weniger Platz auskommen und daher ihre Bewegungsaktivitäten weniger stark durch die Laborkäfige eingeschränkt wird als bei Ratten. Zudem sind mehrere genetische Linien an Mäusen untersucht worden, um auszuschließen, dass nur eine bestimmte Gen-Variante für die beobachteten Effekte verantwortlich ist. Für Langlebigkeitsstudien bieten Mäuse außerdem einen praktischen Vorteil: da sie generell nicht ganz so lange leben wie Ratten, lassen sich die Studien schneller abschließen oder mit veränderten Parametern neu wiederholen.

Auch mit all diesen Unterschieden haben Mäuse auf eine Kalorienreduktion ähnlich reagiert wie Ratten: je nach genetischer Variante konnte die Lebensdauer durch Diäten um bis zu 60% verlängert werden, wenn bereits in jungem Alter damit begonnen wurde (https://sci-hub.se/10.1093/jn/116.4.641). Aber selbst bei einem Diät-Beginn in der Mitte eines normalen Mäuselebens wurden die Tiere um 10-20% älter als normal (https://sci-hub.se/10.1126/science.7063854).

Wiederholte Experimente bestätigen diese Beobachtungen: die Fähigkeit des Körpers, auf Kalorienreduktion mit reduziertem Tumorwachstum und längerem Leben zu reagieren, geht im Alter nicht verloren. Durch eine Diät, in der lediglich die Menge an Kohlenhydraten reduziert ist, kann die verbleibende Rest-Lebenszeit immer um den gleichen Faktor verlängert werden, in den untersuchten Mäusen beispielsweise um 40% (https://sci-hub.se/10.1016/j.mad.2005.03.016). Beginnen Tiere schon in jungem Alter mit der Diät, lässt sich also noch ihre Lebensdauer noch um 40% verlängern. Beginnt die Diät hingegen erst in der Mitte des Lebens, wird zwar die Rest-Lebenszeit ebenfalls um 40% verlängert, jedoch beträgt der Effekt auf die gesamte Lebensdauer nur noch 20%.

Effekt von Kalorienreduktion auf Gehirnaktivität

Erfreulicherweise wird durch Kalorienreduktion nicht nur die bloße Lebenszeit der Mäuse verlängert, sondern auch die Zeit guter körperlicher Gesundheit. Genauso relevant ist aber auch die geistige Gesundheit. Um die Auswirkung einer kalorienreduzierter Ernährung auf das Gehirn und seine Aktivität zu messen, haben ForscherInnen sowohl junge (5-6 Monate) als auch alte Mäuse (18-20 Monate) mit 40%-kalorienreduzierter Ernährung untersucht und jeweils mit einer Kontrollgruppe ohne Diät verglichen (https://www.aging-us.com/article/101094/pdf).

Bessere Blutversorgung des Gehirns

Neu war der Einsatz von Magnetresonanztomographie (MRT) zur ortsaufgelösten Messung der Blutversorgung des Gehirns. Hier zeigte sich, dass durch die Kalorienreduktion ein deutlich höherer Blutfluss vorlag, das Gehirn also besser mit Sauerstoff versorgt wurde, und das bereits in jungen Mäusen. Mit steigendem Alter wurde die Blutversorgung zwar schlechter, was aber normal ist und zu erwarten, jedoch war dieser Rückgang bei Mäusen auf Diät nur gut halb so stark ausgeprägt wie bei uneingeschränktem Essen. Insgesamt waren die Gehirne alter Mäuse durch die Kalorienreduktion fast genauso gut mit Blut versorgt, wie es sonst für junge Mäuse ohne Diät typisch gewesen wäre. Eine altersbedingte Funktionseinbuße der Blut-Gehirn-Schranke konnte durch die Futtereinschränkung jedoch nicht verhindert werden.

Weniger Gedächtnisverlust im Alter

Die WissenschaftlerInnen führten aber auch verschiedene Verhaltenstests durch, um die tatsächliche Gehirnleistung zu messen. In einem ersten Experiment ließen sie die Mäuse wiederholt durch ein Labyrinth laufen und zählten, wie häufig die Mäuse falsch abbogen. Nach einer Trainingseinheit mit vielen Fehlern lernten die Mäuse den richtigen Weg und konnten die weiteren Durchläufen mit weniger Fehlern bestehen. Am Folgetag wurde das Experiment wiederholt, um zu prüfen, ob die Mäuse über Nacht einen Teil des Gelernten wieder vergessen hatten, und so die Gedächtnisleistung zu testen. Bei jungen Mäusen zeigte sich kein Unterschied zwischen der Gruppe mit Kalorienreduktion und den Tieren mit normaler Futtermenge. Bei alten Mäusen machte sich die Diät jedoch sowohl in einer niedrigeren Zahl an erforderlichen Trainingsrunden zu Beginn des Experiments bemerkbar als auch in einer Verringerung des Gedächtnisverlusts über Nacht.

Mäuse bleiben durch Diät auch im Alter mutig

Ein zweiter Verhaltenstest sollte die Ängstlichkeit der Tiere messen: hierzu konnten sich die Mäuse frei zwischen einem sicheren Gehege mit festen Wänden und einem frei schwebenden Balken bewegen. Je neugieriger und mutiger eine Maus ist, desto mehr Zeit verbringt sie auf dem Balken. Üblicherweise werden Mäuse im Alter ängstlicher, verbringen also weniger Zeit auf dem Balken und dafür mehr Zeit im sicheren Gehege. Bei Tieren mit kalorienreduzierter Ernährung stieg der Anteil der Zeit im sicheren Gehege jedoch im Alter jedoch nur um 13%, verglichen mit einem Anstieg um 31% bei Mäusen ohne Diät. Die Verbesserung der Blutversorgung des Gehirns als Folge der Kalorienreduktion scheint also nicht nur das Gedächtnis jung zu halten, sondern auch Altersängstlichkeit abzumildern.

Kritik an Diätstudien mit Ratten und Mäusen

In der Gesamtsicht wirkt die Studienlage zur gesundheitsfördernden und lebensverlängernden Wirkung von kalorienreduzierter Ernährung sehr belastbar, und es entsteht der Eindruck, eine simple Diät wäre das Wundermittel schlechthin. Skeptiker mögen aber kritisieren, dass innerhalb der Studien zur Wirkung von Kalorienreduktion die beobachtete Effektstärke stark variiert. Dies kann verschiedene Gründe haben (https://sci-hub.se/10.1016/j.arr.2017.05.008, https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/73/1/48/3867389): ein Kritikpunkt ist, dass in den meisten Versuchen nur Tiere einer einzelnen Zuchtlinie beobachtet wurden, diese aber häufig aus Inzucht hervorgegangen sind und nur eine minimale genetische Variantenvielfalt aufweisen. Wiederholungen der Studien mit anderen genetischen Linien können zu anderen Ergebnissen führen (https://sci-hub.se/10.1016/j.arr.2011.12.006).

Waren Tiere der Kontrollgruppen übergewichtig?

Zudem zeichnen sich Labormäuse auch durch ein höheres Körpergewicht und eine höhere Kalorienaufnahme bei freiem Fressverhalten aus als wildlebende Tiere oder Wildtiere in Gefangenschaft (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1046/j.1474-9728.2003.00053.x). Das wirft die Frage auf, ob die Kontrollgruppen der Studien wirklich aus Tieren mit Normalgewicht bestanden, oder nicht Vergleiche zwischen übergewichtigen Kontrollgruppen und weniger übergewichtigen Versuchsgruppen gezogen wurden. Eine Betrachtung der Kalorienaufnahme pro Kilogramm Körpergewicht zeigt jedoch ein deutliches Kaloriendefizit bei Versuchstieren nicht nur gegenüber Wildtieren. Zudem ist in allen Meta-Analysen ein durchweg linearer Zusammenhang zwischen Körpergewichtsreduktion und Lebensdauerverlängerung beobachtet worden, ohne die Bildung eines Plateaus oder einer deutlichen Stufe, die den Übergang von Übergewicht trotz Kalorienreduktion zu Normalgewicht durch Kalorienreduktion wiederspiegeln würden (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0891584914002317, https://sci-hub.se/10.1177/019262339602400618).

Fehlende Vergleichbarkeit in Futterzusammensetzung und -rhythmus

Eine weitere Variable, in der sich die Studien unterscheiden können, ist die genaue Zusammensetzung der Diäten. Alle modernen Studien sind zwar darauf ausgelegt, Mangelernährung zu verhindern, indem Vitamine und Mineralstoffe trotz Kalorienreduktion in gleichbleibend hohen Mengen angeboten werden. Die genauen Anteile von Kohlenhydraten und Zucker sowie Proteinen und Fett an der Diät ist allerdings nicht überall gleich. Immerhin bemühen sich die meisten Studien, die Kalorienreduktion alleine durch Verringerung der Zucker- oder Kohlenhydrat-Mengen zu erreichen, um einen Einfluss reduzierter Proteinzufuhr zu verhindern. Inzwischen ist jedoch bekannt, dass eine proteinarme Ernährung oder ein maßvoller Verzicht auf spezielle Aminosäuren lebensverlängernd wirken kann (https://www.cell.com/cell-metabolism/fulltext/S1550-4131(14)00065-5, https://sci-hub.se/10.1016/j.exger.2016.03.011, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2211124715005057).

Und schließlich weiß man heute: Fütterungszeiten spielen eine größere Rolle, als man bisher dachte: es macht einen Unterschied, ob Mäuse die vorgesehenen Kalorien in einer einzelnen Mahlzeit aufnehmen oder über 24h verteilt (https://www.nature.com/articles/s42255-021-00466-9). Es könnte vielleicht sogar einen Unterschied machen, ob die Hauptmahlzeit morgens oder abends liegt (https://journals.asm.org/doi/10.1128/mSystems.00348-19). Solche Variablen sind in frühen Versuchen in der Regel nicht genau festgelegt oder beobachtet worden, was die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Studien einschränkt. Erschwerend kommt hinzu, dass Mäuse abhängig von Fütterungsmenge und -zeiten sowohl Intensität als auch Tageszeit ihrer Bewegungsaktivität und ihrer Nahrungsaufnahme anpassen (https://www.cell.com/cell-metabolism/pdfExtended/S1550-4131(17)30349-2). Beispielsweise fressen Mäuse mit kalorienreduzierter Ernährung ihre Tagesration in einer einzigen Mahlzeit, statt über die Nacht verteilt.

Wirkmechanismus auf Zellebene

Zur Beurteilung der Studien hilft es sicherlich auch, dass in den letzten zwei Jahrzehnten die Wirkmechanismen kalorienarmer Ernährung auf Ebene einzelner Zellen und Moleküle besser verstanden worden ist. Einen frühen Ansatz dazu lieferte beispielsweise eine Analyse, welche Gene durch eine Diät aktiviert oder aber abgeschaltet werden, verglichen mit der Änderung der Gen-Aktivität durchs Altern (https://sci-hub.se/10.1126/science.285.5432.1390). Dabei wird deutlich, dass das Altern normalerweise mit einem veränderten Energiestoffwechsel einhergeht. Auf diese Weise wirkt sich Alterung gleichermaßen auf den gesamten Körper aus: schaffen die Zellen es aufgrund des veränderten Stoffwechsels nicht mehr, genügend Energie bereitzustellen, schränkt sich ihre Funktion ein oder sie sterben letztendlich ab. Das Absinken der Aktivität von Stoffwechsel-relevanten Genen im Alter kann allerdings durch eine kalorienarme Ernährung verhindert werden. Generell können etwa zwei Drittel aller alterungsbedingten Änderungen der Gen-Expression durch Kalorienreduktion entweder komplett oder zumindest teilweise rückgängig gemacht werden.

Ein niedriger Insulinspiegel aktiviert FOXO-Proteine, die zelluläre Überlebensprogramme starten

Heutzutage sind einige konkrete Beispiele für Wirkpfade bekannt, über die Energie- und Nährstoffangebot die Expression relevanter Gene steuern können: der Signalweg für Insulin und insulinähnliche Wachstumsfaktoren beteiligt auch sogenannte FOXO-Proteine (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/acel.12427). Diese Klasse von Molekülen kann durch Andocken an bestimmte Stellen der DNA die Expression anderer Gene stimulieren. Ein niedriger Insulinspiegel führt zu einer erhöhten Menge an FOXO-Proteinen im Zellkern und einer verstärkten Aktivität der von FOXO regulierten Gene. Diese sind unter anderem verantwortlich für Autophagie, also zell-interne Recyclingprozesse von fehlgebildeten Proteinen (https://sci-hub.se/10.1016/j.tibs.2014.02.003), für die Abwehr von oxidativem Stress in der Zelle (https://www.nature.com/articles/nature01036), und für die Funktion von Stammzellen (https://www.cell.com/cell-stem-cell/fulltext/S1934-5909(07)00002-1).

Eine verringerte Nährstoffzufuhr lässt AMPK-Enzyme den Energiehaushalt optimieren

Ein zweiter Wirkmechanismus läuft über das Enzym AMPK, das durch einen niedrigen ATP-Spiegel aktiviert wird, also wenn nur wenig Energie für die Zelle verfügbar ist (https://www.cell.com/cell-metabolism/fulltext/S1550-4131(14)00106-5, https://journals.physiology.org/doi/full/10.1152/physiol.00010.2011). AMPK beeinflusst nicht nur den Stoffwechsel, indem die Verbrennung von Fettsäuren anstelle von Glukose angeregt wird (vgl. https://www.nature.com/scitable/topicpage/dynamic-adaptation-of-nutrient-utilization-in-humans-14232807/), sondern trägt auch maßgeblich zur Neubildung von Mitochondrien bei, um Zellen besser mit Energie zu versorgen (https://www.cell.com/cell-metabolism/fulltext/S1550-4131(04)00009-9).

Diäten hemmen mTOR und schalten Zellen von Wachstum auf Recycling

Ein weiteres Molekül, dessen Aktivität nicht nur über den Insulin-Signalweg und FOXO sowie über AMPK reguliert wird, sondern zusätzlich auch direkt über die Verfügbarkeit bestimmter Aminosäuren gesteuert wird, ist mTOR (https://www.nature.com/articles/nature11861, https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(12)00351-0, https://mdpi-res.com/d_attachment/geriatrics/geriatrics-05-00095/article_deploy/geriatrics-05-00095.pdf). Eine hohe Aktivität bei Ressourcenüberfluss schaltet ein Wachstumsprogramm der Zelle an, wohingegen Nährstoff- und Energieknappheit während einer Diät die Zelle in einen Autophagie-Zustand versetzt, in dem Recyclingprozesse dominieren.

Neben FOXO, AMPK und mTOR sind auch Sirtuine am Wechselspiel zwischen Diät und Langlebigkeit (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1474-9726.2007.00335.x, https://sci-hub.se/10.1016/j.tig.2014.04.007, https://sci-hub.se/10.1101/gad.227439.113). Während die Aktivierung dieser Enzyme in Hefen, Fliegen und Würmern lebensverlängernde Effekte zeigt und durch Kalorienreduktion angeregt werden kann, ist die Rolle von Sirtuinen in Säugetieren allerdings noch nicht vollständig verstanden.

Fazit: was können wir Menschen von Studien an Mäusen lernen?

Die Studien an Ratten und Mäusen zu Langlebigkeit durch Kalorienrestriktion sind nicht alle streng vergleichbar und kontrollieren nicht alle möglichen Parameter, die unter Umständen relevant wären. Doch trotz aller Unterschiede in den Details deutet die Mehrzahl an Veröffentlichungen auf einen deutlich positiven Effekt einer kalorienreduzierten Ernährung hin.

Gleiche Wirkmechanismen sind auch im Menschen vorhanden

Eine direkte Übertragbarkeit der Studienergebnisse von Mäusen auf Menschen ist ohne weitere Forschung nicht gegeben. Allerdings lassen sich die ermittelten molekularen Wirkmechanismen auch in menschlichen Zellen wiederfinden: auch wir Menschen haben Moleküle wie FOXO, AMPK und mTOR in unseren Zellen, und die Funktionsweise dieser Proteine unterscheidet sich nicht grundlegend zwischen uns und Mäusen. Deshalb liegt die Vermutung sehr nahe, dass auch Menschen von einer kalorienreduzierten Ernährung profitieren könnten.

Was ist das Normalgewicht?

Bei der Beschäftigung mit Studien an Ratten und Mäusen fällt auf, dass eine wesentliche Schwierigkeit darin liegt, die Kontrollgruppe richtig zu definieren und einzustellen. Was ist eigentlich eine „normale“ Ernährung, was wäre ein Normalgewicht oder eine Normalgröße? Die Antworten hierauf sind nicht eindeutig: angenommen, man definierte als normale Ernährung die Kalorienzahl, die nötig ist, um das Körpergewicht konstant zu halten; dann könnte diese Kalorienzahl dennoch je nach Nahrungszusammensetzung variieren, und es wäre auch denkbar, dass durch eine Diät der Stoffwechsel effizienter arbeiten kann, sodass der Körper mit weniger Nahrung auskommt. Außerdem unterscheiden sich Menschen nicht nur in Größe und Gewicht, sondern auch in Muskelanteil und Grundumsatz, sodass letztendlich das „Normalgewicht“ für jeden Menschen individuell ausgetestet werden müsste.

Was bleibt als Ergebnis der Mäuse-Studien, wenn man alle Unsicherheiten berücksichtigt?
  1. In jedem Fall sollten Sie Ihre Ernährung so gestalten, dass Sie Übergewicht vermeiden, um das Risiko für damit assoziierte Krankheiten niedrig zu halten.
  2. Eine kalorienreduzierte Diät kann viele positive Effekte auf Ihre Gesundheit haben, da hierdurch zelluläre Aufräumprozesse und Überlebensprogramme ausgelöst werden.
  3. Wichtig ist die Vermeidung von Mangelernährung während der Diät. Verzichten Sie daher insbesondere auf hochkalorische Speisen und Zutaten wie Zucker und Fette; behalten Sie aber ausreichend Abwechslung und viel Gemüse in Ihrem Essensplan, um Ihren Bedarf an Vitaminen, Mineralien und anderen Mikronährstoffen zu decken.

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