GlyNAC – ein Wundermittel gegen Altern?

Im Alter sinkt die Fähigkeit unseres Körpers, sich gegen Zellschäden durch oxidativen Stress zu wehren. Eine Kombination zweier Aminosäuren stellt den körpereigenen Schutzschild jedoch wieder her und hält unsere Mitochondrien jung, was Entzündungen hemmt und Insulinresistenz und Herz-Kreislaufkrankheiten vorbeugt. GlyNAC scheint also ein Jungbrunnen für unseren Körper zu sein, wie eine Anfang 2023 veröffentlichte randomisierte, placebo-kontrollierte und doppel-verblindete Studie zeigt. (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639, https://academic.oup.com/jn/article/151/12/3606/6377984)

Was ist GlyNAC?

GlyNAC bezeichnet die Kombination von Glycin und N-Acetylcystein (NAC) als Nahrungsergänzungsmittel. Beide Substanzen liegen hierbei getrennt vor (als Pulver bzw. als Kapseln); es ist keine eigene chemische Verbindung.

Wozu ist Glycin gut?

Glycin ist eine quasi-essentielle Aminosäure: unser Körper kann sie zwar aus anderen Aminosäuren selbst herstellen, doch reicht die selbst hergestellte Menge nicht aus, um den tatsächlichen Bedarf zu decken (https://link.springer.com/article/10.1007/s12038-009-0100-9). Glycin ist als Hauptbestandteil von Kollagenfasern mitverantwortlich dafür, unsere Haut, Knorpel und Blutgefäße elastisch und jung zu halten; und eine Supplementierung mit Glycin konnte in Menschen Insulinsensitivität verbessern und entzündungshemmende Wirkungen zeigen (https://link.springer.com/article/10.1007/bf03346417, https://doi.org/10.1093/ajcn/76.6.1302, https://bmcpulmmed.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12890-017-0528-x).

Was ist N-Acetylcystein?

N-Acetylcystein ist eine chemische Verbindung, die bei Aufnahme in unserem Körper in die Aminosäure Cystein umgewandelt wird. Der Vorteil einer Supplementierung mit N-Acetylcystein anstelle von Cystein selbst liegt in der höheren Stabilität von NAC, welches nicht so schnell oxidiert wie Cystein.

NAC ist aufgrund seiner antioxidativen Wirkung für viele Anwendungsfälle getestet worden (https://www.mdpi.com/2076-3921/8/5/111); es wird bei der Behandlung vieler psychischer Erkrankungen erprobt und zeigt vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung von Drogensucht oder Schizophrenie (https://www.hindawi.com/journals/bmri/2018/2469486/, https://link.springer.com/article/10.1007/s40263-022-00907-3). Auch war NAC im Fokus von Sportlern als regenerationsförderndes Nahrungsergänzungsmittel, wenn auch mit gemischten Ergebnissen (https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1186/1550-2783-2-2-38, https://link.springer.com/article/10.1007/s40279-017-0677-3).

Aufgrund seiner potentiell schleimlösenden Wirkung kommt Acetylcystein („ACC“) auch als Hustenmedikament mit mäßiger Wirksamkeit zum Einsatz (https://doi.org/10.1002/14651858.CD003124.pub4).

Warum GlyNAC statt bloß Glycin oder NAC?

GlyNAC ist für den Körper wertvoll, weil beide Komponenten, Glycin und Cystein, zur körpereigenen Herstellung von Glutathion erforderlich sind: Glutathion ist das stärkste körpereigene Antioxidant, welches als Schutzschild gegen Stress agiert und insbesondere Mitochondrien vor Schäden im Alter schützt. Weil diese als zelluläre Energielieferanten von zentraler Bedeutung für unsere Gesundheit sind, kann eine Supplementierung mit GlyNAC durch eine Erhöhung der Glutathion-Level eine Vielzahl an positiven Effekten verursachen: GlyNAC wirkt beispielsweise entzündungshemmend, verbessert die Insulinsensitivität und senkt das Thromboserisiko (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639).

Eine tägliche Supplementierung von jeweils 100mg/kg Glycin und NAC (pro Kilogramm Körpergewicht) konnte bei 70-Jährigen innerhalb von 16 Wochen die Glutathion-Level in Muskeln und roten Blutzellen um 169% bzw. 225% erhöhen und damit Werte erreichen, die sonst für 25-Jährige üblich sind (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639). Als Konsequenz wurde ein um bis zu 72% niedrigeres Level an oxidativem Stress beobachtet, das anhand der Konzentration von verschiedenen Oxidationsprodukten gemessen wurde (sogenannten TBARS = Thiobarbituric acid reactive substances und F2-Isoprostane, https://www.mdpi.com/2076-3921/8/3/72). Eine Supplementierung mit einer anderen Aminosäure (Alanin) konnte in einer Kontrollgruppe keine derartigen Effekte hervorrufen.

Kann man auch direkt Glutathion statt GlyNAC supplementieren?

Eine regelmäßige Einnahme von 1g Glutathion pro Tag hat in einer Kurzzeit-Studie (4 Wochen) keinen nennenswerten Anstieg der Glutathion-Werte im Blutplasma bewirkt (https://www.liebertpub.com/doi/full/10.1089/acm.2010.0716), weshalb dieser Ansatz lange Zeit nicht weiter verfolgt worden ist. Eine spätere Stude zeigt aber einen signifikanten Effekt nach 6 Monaten Einnahmezeitraum (https://link.springer.com/article/10.1007/s00394-014-0706-z). Anscheinend ist für eine effektive Aufnahme ein Supplement mit liposomalem Glutathion am besten (https://www.nature.com/articles/ejcn2017132). Es ist denkbar, dass Glycin und NAC leichter vom Körper aufgenommen werden können als Glutathion, allerdings fehlt eine direkte Gegenüberstellung.

Die Einnahme von GlyNAC hat den leichten Vorteil, dass die Komponenten auch unabhängig von der Glutathion-Synthese positiv auf unsere Gesundheit wirken können, beispielsweise Glycin als Baustein für Kollagen und andere Proteine. Außerdem zeigten alle Studien, dass bei einer GlyNAC-Supplementierung keine Überdosierung mit Glutathion möglich ist (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639, https://www.mdpi.com/2072-6643/14/5/1114), weil die Produktion dieses Antioxidants im Gewebeinneren stattfindet. Ebenso ist es bei Einnahme von GlyNAC daher möglich, dass jeder Gewebetyp die Syntheserate an Glutathion individuell regulieren kann, um die Balance zwischen Reduktions- und Oxidationsprozessen auf die jeweiligen spezifischen Bedürfnisse anzupassen.

Wofür ist GlyNAC gut?

Anfang 2023 hat eine randomisierte, placebo-kontrollierte, doppel-verblindete Studie an Menschen eine Vielzahl an gesundheitsverbessernden Effekten durch Supplementierung mit GlyNAC berichtet: (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639)

  • Schutz vor Schädigung von Mitochondrien und verbessertes Aufräumen von Mitochondrien mit Fehlfunktion
  • Verbesserung sportlicher Fitness
  • Vorbeugen von Stoffwechselstörungen wie Insulinresistenz
  • Entzündungshemmende Wirkung
  • Reduktion von DNA-Schäden
  • Stimulation von Stammzellen-Aktivität
  • Bereinigen von seneszenten Zellen

Alte Menschen zeigen normalerweise in all diesen Punkten Beeinträchtigungen verglichen mit Jüngeren. Im Rahmen der Studie wurde aber beobachtet, dass 70-Jährige bei täglicher Einnahme von GlyNAC über einen Zeitraum von 16 Wochen hinweg nahezu vollständig wieder die Vergleichswerte einer Kontrollgruppe von 25-Jährigen Menschen erreichten.

Neben dieser jüngsten placebo-kontrollierten und doppel-verblindeten Studie wurden die vielen gesundheitsförderlichen Effekte von GlyNAC auch in einer vorausgegangenen Pilotstudie (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ctm2.372) sowie Untersuchungen an Typ2-Diabetikern (https://www.mdpi.com/2076-3921/11/1/154, https://diabetesjournals.org/care/article/34/1/162/27362/Glutathione-Synthesis-Is-Diminished-in-Patients) und HIV-PatientInnen (https://www.mdpi.com/2227-9059/8/10/390, https://academic.oup.com/jcem/article/99/1/169/2836223) beobachtet.

Wie wirkt sich GlyNAC-Supplementierung auf meine Fitness aus?

In der placebo-kontrollierten doppelblinden Studie sind Gehgeschwindigkeit (Wohlfühltempo der TeilnehmerInnen) und -weite (innerhalb von 6 Minuten bei maximalem Gehtempo), Griffkraft beider Hände und Hinsetz-/Aufstehgeschwindigkeit gemessen worden (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639). In allen Disziplinen zeigten alte Menschen ursprünglich Einschränkungen gegenüber der jungen Kontrollgruppe. Durch GlyNAC-Supplementierung über 16 Wochen konnten 70-Jahre alte TeilnehmerInnen aber ihre Testergebnisse in allen Disziplinen signifikant verbessern, bei Gehgeschwindigkeit und Griffkraft sogar die Werte der jungen Kontrollgruppe erreichen (ausgehend von einer 18% langsameren Gehgeschwindigkeit und 5-10% weniger Griffkraft, verglichen mit 25-Jährigen). Sowohl höhere Wohlfühl-Gehgeschwindigkeit als auch höhere Griffkraft korrelieren typischerweise mit einer niedrigeren Sterblichkeit (https://academic.oup.com/eurheartj/article/38/43/3232/4090989, https://ashpublications.org/blood/article/134/4/374/260685/Gait-speed-grip-strength-and-clinical-outcomes-in) sowie besseren kognitiven Funktion (https://bmcgeriatr.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12877-019-1199-7, https://alz-journals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/dad2.12388).

Interessanterweise konnte selbst die Gruppe junger ProbandInnen ihre körperliche Fitness durch GlyNAC-Supplementierung geringfügig verbessern. Dieser Effekt war jedoch nicht signifikant – möglicherweise, weil für sie ein kürzerer Beobachtungszeitraum von nur 2 Wochen gewählt worden war.

Die Ursache für verbesserte körperliche Leistungsfähigkeit ist in erster Linie eine Verbesserung der Mitochondrien-Funktion. Mitochondrien stellen Energieträger für Muskelaktivität bereit; eine bessere Mitochondrien-Funktion erlaubt also höhere Muskel-Leistungen.

Wie verbessert GlyNAC die Funktion von Mitochondrien?

Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle, in denen die wichtigsten Schritte der Verstoffwechslung von Kohlenhydraten und Fetten abläuft und ATP (Adenosin-Triphosphat) als Energierträger produziert wird. Im Alter nimmt jedoch die Fähigkeit der Mitochondrien für Fettsäuren-Stoffwechsel ab; bei den 70-Jährigen StudienteilnehmerInnen lag die Fettstoffwechselrate etwa 40% niedriger als bei 25-Jährigen. Die regelmäßige Einnahme von GlyNAC konnte die Funktion von Mitochondrien verbessern, indem die Fettstoffwechselrate um 79% erhöht wurde und damit wieder den Wert junger Menschen erreichte (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639).

Auf molekularer Ebene konnte beobachtet werden, dass GlyNAC-Supplementierung den Fettsäuren-Rezeptor PPARα sowie das Transportenzym CPT1b aktiviert. Durch PPARα wird der Fettstoffwechsel angeregt, während CPT1b für den Transport von Fettsäuren in die Mitochondrien verantwortlich ist. Auch das an der β-Oxidation des Fettstoffwechsels beteiligte HADHA-Protein ist durch GlyNAC erhöht worden. Alle drei Moleküle (PPARα, CPT1b und HADHA) lagen in alten Menschen anfänglich in bis zu 60% niedrigeren Konzentrationen vor als bei jungen ProbandInnen; jedoch konnten durch GlyNAC-Einnahme wieder vollständig die Werte der jungen Kontrollgruppe erreicht werden werden. Gleichzeitig konnte durch GlyNAC eine altersbedingte Schwächung der mitochondrialen Elektronentransportkette und des ATP-produzierenden Enzyms ATP5A korrigiert werden.
(PPARα = Peroxisome proliferator-activated receptor alpha), (CPT1b = Carnitine palmitoyltransferase 1b), (HADHA = hydroxyacyl-CoA dehydrogenase/3-ketoacyl-CoA thiolase/enoyl-CoA hydratase, alpha subunit)

GlyNAC verbessert die Insulinsensitivität

Für viele Menschen, die mit Übergewicht kämpfen und gefährdet sind, Diabetes zu entwickeln, ist GlyNAC ein sinnvolles Nahrungsergänzungsmittel, weil es Insulinresistenz reduzieren kann. Sowohl der Basis-Insulinspiegel als auch die Insulinausschüttung bei einer Mahlzeit konnten durch GlyNAC-Supplementierung innerhalb von 16 Wochen um 65% gesenkt werden (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639). Ein Einfluss auf den Blutzuckerspiegel konnte aber nicht festgestellt werden, und auch beim Abnehmen oder Fettabbau hat GlyNAC nicht helfen können.

Verantwortlich für die Verbesserung der Insulinsensitivität durch GlyNAC ist eine verstärkte Aktivierung der GLUT4 Glukose-Transporter, die Blutzucker in Muskelzellen befördern und normalerweise durch Insulin reguliert werden. Regelmäßige Einnahme von GlyNAC konnte die GLUT4-Aktivität auf fast das Doppelte erhöhen. Einen weiteren Beitrag leistet GlyNAC durch eine Erhöhung der PGC-1α Level auf das Vierfache (allerdings ohne signifikanten Effekt bei kurzfristiger Anwendung, https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639): der Regulator PGC-1α (PPARγ coactivator 1-α) stimuliert die Bildung neuer Mitochondrien und erhöht damit die Aufnahme von Glukose aus dem Blut; seine Bedeutung für Mitochondrienfunktion ist allerdings komplex (https://karger.com/cpb/article/37/6/2288/72368/The-Role-of-PGC-1-in-the-Development-of-Insulin).

GlyNAC beseitigt Zell-Müll

Mit fortschreitendem Alter sammeln sich in unseren Zellen kaputte Mitochondrien, die keine Energie mehr liefern können und schlimmstensfalls sogar aufgrund ihrer Fehlfunktion sogar schädliche Substanzen produzieren können. Glücklicherweise hat unser Körper verschiedene Mechanismen, um alte Zellbestandteile aufzuräumen und zu recyclen; neben einer generellen Aufräumstrategie (der Autophagie) bezeichnet Mitophagie den Prozess, kaputte Mitochondrien abzubauen. In alten Menschen sinken allerdings die Level an PINK1-Enzymen, die die Qualität von Mitochondrien überwachen und beeinträchtigte Mitochondrien fürs Recycling markieren. GlyNAC kann die PINK1-Konzentration aber signifikant erhöhen und fast verdoppeln (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639). Auch eine Erhöhung der an Autophagie beteiligten LC3AB-Proteine konnte beobachtet werden, allerdings blieb dieser Effekt knapp unterhalb der Signifikanzschwelle.

Neben dem Aufräumen von Müll innerhalb der Zellen hilft GlyNAC vermutlich auch beim Beseitigen von kompletten funktionsuntüchtigen Zellen, den sogenannten seneszenten Zellen. Zumindest konnte in alten Menschen nach GlyNAC-Supplementierung eine niedrigere Konzentration des Enzyms p16INK4α gemessen werden, welches seneszente Zellen markiert; die ForscherInnen folgern daher, dass GlyNAC eine leicht senolytische Wirkung hat. Eine Beseitigung von alten Zellen mit p16INK4α ist in früheren Studien mit dem Vorbeugen von altersbedingten Erkrankungen assoziiert worden (https://www.nature.com/articles/nature10600).

Entzündungshemmende Wirkung von GlyNAC

Ein wesentlicher Effekt von GlyNAC ist die Bekämpfung von Entzündungen: typischerweise steigen im Alter die Konzentrationen von Botenstoffen wie IL-6, TNF-α und hsCRP, die Entzündungen verursachen. ProbandInnen, die regelmäßig GlyNAC zu sich nahmen, konnten diese Entzündungsmarker jedoch drastisch verringern: nach 16 Wochen lagen die Konzentrationen von IL-6 (Interleukin-6) bei nur noch 12% der ursprünglichen Werte, von TNF-α (Tumor necrosis factor α) bei 46% und von hsCRP (High-sensitivity C-reactive protein) bei 49%. Gleichzeitig stieg die Menge der entzündungshemmenden Botenstoffe IL-10 (Interleukin-10) auf fast das Doppelte (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639). Der anti-entzündliche Effekt wird vermutlich durch die reinigende Wirkung von GlyNAC vermittelt: seneszente Zellen und kaputte Zellbestandteile können lokale Entzündungen auslösen – GlyNAC stimuliert aber Aufräumprozesse und verhindert so das Freisetzen der Entzündungsproteine.

Schützt GlyNAC vor Thrombose?

In der randomisierten doppel-blinden und placebo-kontrollierten Studie haben ForscherInnen außerdem die Konzentrationen zweier Moleküle überprüft, die als Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen wie Arteriosklerose, Venenthrombosen oder Herzinfarkten gelten: sICAM und sVCAM ermöglichen die Anlagerung von anderen Substanzen an die Wände von Blutgefäßen (sICAM = soluble Intercellular Cell Adhesion Molecule bzw. sVCAM = soluble Vascular Cell Adhesion Molecule, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0049384817304383, https://academic.oup.com/eurheartj/article/23/20/1569/518313, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.1365-3083.2008.02029.x). Sowohl sICAM als auch sVCAM waren in den 70-Jährigen ProbandInnen stark erhöht, auf das 2- bis 3-fache des Niveaus junger Menschen. Eine regelmäßige GlyNAC-Supplementierung konnte aber diese Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen um etwa 50% reduzieren (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639). Dieser gesundheitsverbessernde und potentiell lebensverlängernde Effekt von GlyNAC wird vermutlich durch dessen entzündungshemmende Wirkung vermittelt: sICAM und sVCAM korrelieren mit IL-6 und TNF-α Leveln (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1046/j.1365-2796.2001.00900.x).

Wie GlyNAC unseren Körper verjüngt

Um zu untersuchen, ob die antioxidative Wirkung von Glutathion als Folge der GlyNAC-Supplementierung auch Schäden an der DNA verhindern könnte, haben die ForscherInnen Konzentrationen an pH2AX gemessen. Dieses Protein wird als Reaktion auf DNA-Doppelstrang-Brüche aktiviert, und das pH2AX-Level gilt als empfindliches Maß für die Menge an DNA-Schäden (https://www.hindawi.com/journals/jna/2010/920161/). Ein spezifischerer Marker für DNA-Schäden, die durch oxidativen Stress hervorgerufen wurden, ist dagegen 8-OHdG (https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/10590500902885684). Alte StudienteilnehmerInnen, die GlyNAC supplementierten, konnten ihre pH2AX und 8-OHdG Konzentrationen um etwa 70% reduzieren (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639). GlyNAC scheint also tatsächlich unsere DNA vor Schäden durch oxidativen Stress zu schützen.

Außerdem beobachteten die ForscherInnen in der Gruppe der 70-Jährigen mit GlyNAC-Einnahme einen Anstieg von regenerationsfördernden Enzymen wie Pax7 auf Werte, wie sie auch in der Gruppe der 25-Jährigen vorlag (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639). Pax7 wird in Vorläuferzellen aktiv, die ähnlich wie Stammzellen beispielsweise für die Bildung neuer Muskelzellen verantwortlich sind (https://www.nature.com/articles/nature03594, https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(11)01443-7).

Kann GlyNAC die Verkürzung von Telomeren verhindern?

Nein, vermutlich nicht: zumindest wurde in dieser Studie an Menschen kein signifikanter Effekt festgestellt. Telomere sind die Schutzkappen der DNA-Stränge, und die Kürzung der Telomere über die Dauer eines Lebens gilt als ein wesentliches Merkmal des Alterns. Zwar wurde in der GlyNAC-Studie die Aktivität des POT1a-Enzyms gemessen (protection of telomeres 1a), aber es wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen alten und jungen Menschen oder GlyNAC-Supplementierung und Placebo festgestellt. Zudem wäre die Interpretation einer beeinflussten POT1a-Aktivität auch komplex: dieses Protein blockiert das Enzym Telomerase, durch das Telomere verlängert würden, verhindert gleichzeitig aber auch Schäden an den DNA-Enden (https://www.nature.com/articles/nature01688, https://www.nature.com/articles/nsmb.3083, https://www.embopress.org/doi/full/10.15252/embj.2020104500, https://www.nature.com/articles/s41467-021-25799-7)

Wirkt GlyNAC lebensverlängernd?

Es gibt bislang keine Studie an Menschen, die einen Zusammenhang von GlyNAC-Supplementierung mit Lebensdauer oder Sterblichkeit überprüft. In der randomisierten doppel-verblindeten und placebo-kontrollierten Studie konnte GlyNAC aber Risikofaktoren für einige der wichtigsten Krankheiten und Todesursachen reduzieren, darunter Insulinresistenz bzw. Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen wie Arteriosklerose, während gleichzeitig die körperliche Fitness gemessen an Gehgeschwindigkeit und Griffstärke verbessert werden konnte (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639).

Ein Experiment an Mäusen hat aber beobachtet, dass lebenslange Supplementierung von GlyNAC die Lebenserwartung um 24% steigen lässt (https://www.mdpi.com/2072-6643/14/5/1114). In diesem Versuch erhielten die Mäuse ab einem Alter von 65 Wochen ein Futter, das mit Glycin und N-Acetylcystein angereichert war, aber gleiche Kalorienzahl und gleichen Stickstoffgehalt aufwies wie das Futter der Kontrollgruppe. Ein Alter von 65 Wochen war gewählt worden, weil ab diesem Zeitpunkt das Glutathion-Level in Mäusen typischerweise signifikant abfällt. Die Mäuse mit GlyNAC-Supplementierung zeigten eine vollständige Korrektur ihrer Glutathion-Spiegel, eine Verringerung an oxidativem Stress und DNA-Schäden sowie eine Verbesserung der Funktion ihrer Mitochondrien – ganz analog zu den Beobachtungen in Studien an Menschen.

Welche Effekte hat GlyNAC auf unsere Psyche?

In der großen Studie von Anfang 2023 sind keine Einflüsse von GlyNAC auf die Psyche untersucht worden. In einer früheren Pilot-Studie an Über-70-Jährigen sowie einer Untersuchung an 45- bis 65-jährigen HIV-PatientInnen konnte festgestellt werden, dass GlyNAC die kognitive Leistung verbessert, , gemessen an verschiedenen Demenz-Früherkennungstests wie dem Montreal Cognitive Assessment (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ctm2.372, https://www.mdpi.com/2227-9059/8/10/390).

Was muss ich bei GlyNAC-Einnahme beachten?

Welche Nebenwirkungen kann GlyNAC hervorrufen?

Bei einer GlyNAC-Dosierung von insgesamt 200mg/kg/day sind keine Nebeneffekte in Studien an Menschen berichtet worden (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639, https://www.mdpi.com/2076-3921/11/1/154, https://www.mdpi.com/2227-9059/8/10/390, https://diabetesjournals.org/care/article/34/1/162/27362/Glutathione-Synthesis-Is-Diminished-in-Patients, https://academic.oup.com/jcem/article/99/1/169/2836223, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ctm2.372, https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fragi.2022.852569/full).

Eine reine NAC-Supplementierung ist mit Dosen zwischen 1g/day und 20g/day getestet worden, wobei eine Meta-Analyse zum Schluss kommt, dass bei mehr als 5g/day leichte Nebenwirkungen wie Durchfall oder Schläfrigkeit auftreten könnten (https://link.springer.com/article/10.1007/s40279-017-0677-3, https://academic.oup.com/jn/article/134/6/1633S/4688868). Schwere Nebenwirkungen traten aber selbst über einen Zeitraum von 3 Monaten bei einer täglichen Dosis von 11g/day nicht auf (Beipackzettel der NAC Sandoz(R) Brausetabletten).

Bei einer reinen Glycin-Supplementierung sind hingegen Dosen von bis zu 30g/day sogar ohne leichte Nebenwirkungen möglich (https://academic.oup.com/jn/article/134/6/1633S/4688868), und auch bei einer kombinierten Supplementierung mit GlyNAC sowie bei niedrigeren Dosen von NAC sind keine Nebenwirkungen berichtet worden.

Was ist die beste Dosis für eine GlyNAC-Supplementierung?

Die meisten Studien an Menschen verwenden eine Dosis von jeweils 100mg/kg/day an Glycin und NAC, bzw. 1.33mmol/kg/day Glycin und 0,61 mmol/kg/day N-Acetylcystein (https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639, https://www.mdpi.com/2076-3921/11/1/154, https://www.mdpi.com/2227-9059/8/10/390, https://diabetesjournals.org/care/article/34/1/162/27362/Glutathione-Synthesis-Is-Diminished-in-Patients, https://academic.oup.com/jcem/article/99/1/169/2836223, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ctm2.372, https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fragi.2022.852569/full). Ein Mensch mit 70kg Körpergewicht würde also jeden Tag 7g Glycin und 7g NAC zu sich nehmen. Diese Mengen haben sind nach Abschätzen des Bedarfs auf Grundlage der Verstoffwechslung beider Aminosäuren berechnet worden (https://academic.oup.com/jn/article/151/12/3606/6377984) und haben in allen Studien zu einer vollständigen Korrektur der Glutathion-Defizite führen können.

Wichtig ist auch die Erkenntnis einer Studie: die positiven Effekte auf die Gesundheit halten nur so lange an, wie man regelmäßig GlyNAC einnimmt; bei Beenden der Supplementierung verschlechtern sich die Blutwerte wieder auf ein Niveau, das dem Alter und den Lebensgewohnheiten entspricht (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ctm2.372).

Interessant ist die Beobachtung einiger Studien, dass nicht alle ProbandInnen nach GlyNAC-Supplementierung höhere Glutathion-Level zeigen, sondern nur diejenigen, die höherem oxidativen Stress ausgesetzt sind und daher mit besonders niedrigen Glutathion-Leveln starten – obwohl Glycin und Cystein-Konzentrationen in jedem Fall ansteigen (https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fragi.2022.852569/full, https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/78/1/75/6668639). Das legt den Verdacht nahe, dass eine leichte Überdosierung mit GlyNAC keine gravierenden Nebeneffekte haben wird, da die Glutathion-Konzentration nicht über gesunde Level hinaus erhöht wird.

Aufgrund der zusätzlichen Vorteilen von Glycin als Baustein für Kollagen sowie der niedrigeren Nebenwirkungen empfiehlt sich vermutlich eine etwas höhere Dosierung von Glycin gegenüber NAC; etwa 3-9g Glycin-Supplements sind nötig, um den täglichen Bedarf zu decken (siehe Wie viel Glycin braucht man?). Weil GlyNAC bei Menschen mit wenig oxidativem Stress und hohem Glutathion-Spiegel diesen kaum weiter erhöhen kann, ist für junge gesunde Menschen eine hohe Dosis an NAC nicht hilfreich. Ein Richtwert wäre eine Menge von 300-600mg/day, was typischerweise als empfohlene Tagesdosis auf NAC-Supplement-Verpackungen angegeben ist (diese Dosis wird allerdings durch Richtlinien bestimmt, nach denen eine Einstufung als Nahrungsergänzungsmittel noch möglich ist, ohne explizite klinische Relevanz). In höherem Alter oder bei größerem oxidativen Stress wäre aber eine Erhöhung des NAC-Anteils sinnvoll, oder vielleicht auch eine explizite Supplementierung mit Glutathion.

Mögliche Kritik an GlyNAC

Der wichtigste Wirkung von GlyNAC-Supplementierung ist die Bereitstellung der Ausgangsstoffe für eine körpereigene Synthese von Glutathion, einem mächtigen Antioxidant. Inzwischen weiß man, dass aber auch oral eingenommenes Glutathion in liposomaler Form gut vom Körper aufgenommen wird und gesundheitsverbessernde Effekte zeigt (https://link.springer.com/article/10.1007/s00394-014-0706-z, https://www.nature.com/articles/ejcn2017132). Es fehlt leider bisher ein direkter Vergleich durch eine Studie, die eine Supplementierung mit GlyNAC der Einnahme von liposomalem Glutathion direkt gegenüberstellt.

Außerdem fällt bei einer Literaturrecherche auf, dass alle GlyNAC-Studien an Menschen sowie wichtige vorausgegangene Untersuchungen an Mäusen von einer Forschergruppe um Premranjan Kumar und Rajagopal V. Sekhar (Baylor College of Medicine, Houston, Texas) stattfand. Diese Beobachtung soll nicht die Ergebnisse der Studien anzweifeln, zumal die neueste Veröffentlichung von 2023 auf einer randomisierten klinischen Studie mit Placebo-Kontrollgruppe und Doppel-Verblindung beruht, also nach wissenschaftlichen Maßstäben sehr belastbar ist. Dennoch würde das Forschungsfeld und eine potentielle AnwenderIn von GlyNAC davon profitieren, wenn die Beobachtungen auch an anderen Standorten mit anderen Methoden repliziert werden würden.

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